Diesen Text hat das Bündnis „behindert und verrückt feiern“ am 12. September 2018 vorgelesen. Das war bei der Veranstaltungs-Reihe „Teilnehmen statt Teilhaben!“ von „narrativ inklusiv“ im aquarium.

Die „behindert und verrückt feiern“-Pride Parade ist 2013 entstanden auf Initiative des Arbeitskreises mit_ohne Behinderung (ak moB) und des AK Psychiatriekritik, die weitere linke behindertenpolitisch, psychiatriekritisch und_oder queer-feministisch aktive Gruppen und Personen eingeladen haben. Auch Autor*nnen des „Mondkalbs“, die vorgestern hier gelesen haben, waren dabei.

Die Aktiven wollten die Tradition der Krüppelbewegung und der Disability- bzw. Mad-Pride-Bewegung aufgreifen sowie die Kämpfe behinderter und verrückter Menschen zusammen bringen. In den 1970er Jahren entstanden „Krüppelgruppen“, „Krüppelfrauengruppen“ und ähnliche Initiativen. In ihnen kämpften Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen erstmals solidarisch zusammen politisch und aktivistisch gegen Ausgrenzung und Aussonderung im Allgemeinen und bestimmte Barrieren im Besonderen. Parallel gründeten auch verrückte Menschen vergleichbare Gruppen.

Bis dahin gab es fast nur nach Beeinträchtigung getrennte Selbsthilfegruppen und Verbände, Elternvereine und die großen, meist von kriegsbedingt beeinträchtigten Männern dominierten Sozialverbände. Diese kümmerten sich vor allem um medizinische Fragen, möglichst professionelle und umfassende Sondereinrichtungen und Renten.

Die neuen Gruppen waren dagegen beeinflusst von der Frauenbewegung sowie den amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen behinderter, verrückter und afroamerikanischer Menschen. Daher schlossen sie nicht behinderte bzw. nicht verrückte Menschen entweder bewusst aus oder sorgten dafür, dass Betroffene dominierten.

Spektakuläre Aktionen der Krüppelbewegung waren das „Krüppeltribunal“, mit dem sie auf die Lebensbedingungen behinderter Menschen aufmerksam machten, und verschiedene Bühnenbesetzungen, mit denen gegen die offiziellen Veranstaltungen im UNO-Jahr der Behinderten 1981 protestiert wurde. Berühmt wurde der Aktivist Franz Christoph, der den damaligen Bundespräsidenten mit einer Krücke ans Schienbein schlug. Das brachte ihm ein Bild in der „Bild“, aber keine Strafanzeige ein – auch eine Form der Diskriminierung. Außerdem eigneten sie sich abwertend gemeinte Begriffe wie „Krüppel“ an und wendeten sie für sich zur positiven Selbst-Bezeichnung. Diese Krüppelgruppen und ähnlichen Initiativen sehen wir als ein Vorbild für unsere Arbeit.

Die Idee der Pride Parade stammt dagegen aus Nordamerika. Dort feiern sich seit den 1990er Jahren behinderte Menschen auf Disability Pride Parades und verrückte Menschen auf Mad Pride Parades selbst und protestieren gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Sie übernehmen damit wiederum Konzepte der Bewegungen queerer und afroamerikanischer Menschen. Die größten Paraden finden in Chicago und Toronto statt.

In Berlin haben 2013 unseres Wissens erstmals behinderte und verrückte Menschen gemeinsam die Ideen der Krüppelbewegung und das Pride Konzept mit emanzipatorischen linken Ideen kombiniert.

Ungefähr zur selben Zeit wie die erste Berliner Pride Parade wurden Pride Parades in Belfast und Spanien organisiert, in den Jahren darauf in Köln und Zürich. Und auch in Wien hat sich eine Gruppe gegründet, die eine Pride Parade organisieren möchte bzw. wird.